Schweizer Armee: Major Schatzmann berichtet von UN-Einsatz und Machtwechsel in Syrien
Die Schweizer Armee engagiert sich seit 1990 mit Militärbeobachtern in der UNO-Mission UNTSO im Nahen Osten, deren Einsatzgebiet sich über die fünf Länder Israel, Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten erstreckt.
Major Nadja Schatzmann war bis März 2025 in der Mission und berichtet von ihren Erfahrungen vor und nach dem Machtwechsel in Syrien.
Text und Fotos: Major Nadja Schatzmann, Operationsoffizierin in der United Nations Truce Supervision Organization (UNTSO), im Nahen Osten. (Geschrieben während ihrer Mission Ende März 2025)
Die ersten sechs Monate meines Einsatzes, von März bis August 2024, verbrachte ich als Militärbeobachterin auf der syrisch kontrollierten Seite des Golans. Meine Unterkunft lag in einer Ortschaft 15 Minuten südöstlich von Damaskus entfernt.
Während dieser Zeit musste ich viele meiner Vorurteile über das Land und seine Bevölkerung grundlegend überdenken. Ich hatte erwartet, dass es für mich als Frau schwieriger sein würde mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt zu treten. Doch ich stellte schnell fest, dass sowohl Frauen als auch Männer gleichermassen offen und kommunikationsbereit sind. Zudem habe ich nie das Gefühl anders behandelt zu werden als meine männlichen Kameraden, was mich positiv überraschte – ich erlebe einen sehr höflichen, gastfreundlichen und respektvollen Umgang.
Natürlich hatte ich mir im Vorfeld Gedanken über meine Sicherheit und Lebensbedingungen gemacht. Dass ich nach nur zwei Monaten allein durch Damaskus fahren würde, um Einkäufe zu erledigen oder einen Kaffee in der Altstadt zu trinken, hatte ich mir so nicht vorgestellt. Alles in allem war es eine sehr lehrreiche und bereichernde Erfahrung.
Neue Funktion als Operationsoffizierin
Schon bald wurde ich ermutigt mich für eine Stabsposition innerhalb der Observer Group Golan Damaskus (OGG-D) zu bewerben. Da ich bereits den Führungslehrgang Truppenkörper absolviert hatte und meine nächste militärische Position die des Chefs Einsatz (S3) sein wird, entschied ich mich die Herausforderung als Operationsoffizierin (OPSO) OGG-D anzunehmen. Im September 2024 trat ich diese Funktion an. Als OPSO bin ich verantwortlich für die Planung, Koordination, Überwachung und Evaluerung aller taktischen Operationen der OGG-D.
Unsere Aufträge erhalten wir von der United Nations Disengagement Observer Force (UNDOF), deren Hauptaufgabe die Überwachung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Syrien und Israel ist. Die OGG-D untersteht operativ dem Force Commander UNDOF und ist dafür zuständig Aktivitäten zu beobachten, zu beurteilen und zu rapportieren, die gegen das Abkommen zwischen den beiden Staaten verstossen oder in der Zukunft dazu führen könnten. Unsere Rapporte gehen direkt ins UNO-Hauptquartier in New York.
Zu unseren Kernaufgaben gehört die Besetzung von fünf Beobachtungsposten sowie die Durchführung täglicher Patrouillen im Einsatzgebiet. Ausserdem inspizieren wir militärisches Material, um sicherzustellen, dass sowohl Anzahl als auch Material den Vorgaben des Abkommens entsprechen. Ebenfalls führen wir in Zusammenarbeit mit UNDOF gemeinsame Untersuchungen durch, um Aktivitäten oder Vorfälle näher zu klären.
Zusammenarbeit mit der UNDOF
In meiner Funktion obliegt mir die Aufgabe diese vielfältigen Einsätze zu planen und die verfügbaren personellen, materiellen und logistischen Ressourcen effizient einzusetzen. Wo operationelle Unterstützung benötigt wird, koordiniere ich diese mit UNDOF. In der Regel können wir unsere Aufträge eigenständig erfüllen. Allerdings gibt es Situationen, in denen wir aufgrund der Sicherheitslage auf externe Unterstützung angewiesen sind – zum Beispiel bei Patrouillen im südlichen Golan, die eine bewaffnete Eskorte für unsere Militärbeobachterteams durch bewaffnete UNDOF-Truppen erfordern.
Wenn UNDOF spezielle Informationsbedürfnisse stellt, überarbeite ich unsere Planung entsprechend und gebe präzise Aufträge im Sinne der Auftragstaktik an die Militärbeobachterteams weiter. Die gesammelten Informationen werden analysiert und in Berichten dokumentiert. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse und Konsequenzen fliessen direkt in die Planung unserer zukünftigen Einsätze ein, um sicherzustellen, dass wir unseren Auftrag weiterhin effizient und effektiv erfüllen können.
Auswirkungen des Machtwechsels in Syrien
Mit dem Machtwechsel in Syrien in der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember 2024 hat sich der Alltag für uns alle grundlegend verändert. Die syrische Armee hat sich an diesem Wochenende vom Golan zurückgezogen, während die israelische Armee ihre Präsenz signifikant verstärkt hat. Seit Mitte Januar 2025 hat die syrische Übergangsregierung ihre Präsenz auf dem Golan erhöht und wichtige Knotenpunkte wieder besetzt. Die Präsenz der UNO ist weiterhin von beiden Parteien gewünscht und das Verhalten gegenüber den UNO-Truppen freundlich und konstruktiv.
Das Informationsbedürfnis ist aufgrund der stetigen Veränderungen aktuell grösser als zuvor. Ich versuche die wöchentlichen Aufträge mit den verfügbaren Mitteln abzudecken und unsere Einsätze auf die Gebiete zu konzentrieren, welche die höchste Priorität haben. Da bestimmte Bewegungsrouten derzeit technisch und taktisch eingeschränkt sind, ist die Koordination mit den Sektorverantwortlichen wichtiger denn je. Durch den Kontakt zu den Operationsoffizieren der verschiedenen Sektoren erwirken wir, dass Bewegungen auf Schwergewichtszonen auszurichten sind und Synergien im Ressourceneinsatz genutzt werden, damit der operationelle Bedarf für ein gesamtheitliches Lagebild abgedeckt wird.
Wertvolle Erfahrungen
Mein Einsatz als OPSO im Nahen Osten hat mich nicht nur beruflich sehr gefordert, sondern auch persönlich stark geprägt. Die Verantwortung für die Koordination und Sicherheit in einem komplexen, unsicheren und schwierig zu antizipierendem Einsatzgebiet zu haben, hat mir gezeigt, wie wichtig klare Kommunikation, schnelle und gesamtheitliche Entscheidungsfindung und Zusammenarbeit über kulturelle und organisatorische Grenzen hinweg sind.
Besonders bereichernd war für mich die unerwartet positive Verbindung zur lokalen Bevölkerung und die Erkenntnis, dass hinter politischen Konflikten oft Menschen stehen, die sich nach Stabilität und Frieden sehnen. Diese Erfahrungen haben meinen Blick auf die Welt und meine Rolle darin nachhaltig verändert. Ich blicke mit Stolz auf die Herausforderungen, die ich gemeistert habe, und hoffe, dass mein Beitrag, so klein er auch sein mag, langfristig einen positiven Unterschied im politischen und Sicherheits-Interessensraum der Schweiz macht.
Schweizer Armeeangehörige seit 35 Jahren im Nahen Osten
Im Jahr 1989 fasste der Bundesrat den Beschluss friedensfördernde UNO-Missionen auch mit Militärbeobachterinnen und -beobachtern zu unterstützen. Darauf basierend entschied sich der Bundesrat am 19. März 1990 Schweizer Offiziere in die United Nations Truce Supervision Organization (UNTSO) im Nahen Osten zu entsenden, die auf der UNO-Resolution 50 von Mai 1948 basiert. Bereits im April 1990 flogen die ersten Schweizer Militärbeobachter in diese Region und nahmen ihre Arbeit gemäss Mandat auf.
Quelle: Major Nadja Schatzmann, Operationsoffizierin in der United Nations Truce Supervision Organization (UNTSO), im Nahen Osten. (Geschrieben während ihrer Mission Ende März 2025)
Bildquelle: SWISSINT/Major Nadja Schatzmann